IMI-Standpunkt 2025/029 - in: FriedensForum 5/2025

Drohnen: Sie kommen in Schwärmen

... zu schnell für menschliche Kontrolle

von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 16. Mai 2025

Drucken

Hier finden sich ähnliche Artikel

Rückblick

Kürzlich habe ich im Rahmen eines Uni-Seminars einen Vortrag zur Geschichte der Drohnenforschung in Europa gehalten. Ein solcher kurzer Blick in die Vergangenheit veranschaulicht die Geschwindigkeit, mit der sich diese Technologien in den vergangenen fünfzehn Jahren weiterentwickelt hat. Gerade innerhalb der Europäischen Union wurde die Entwicklung unbemannter Flugzeuge zunächst v.a. im vermeintlich zivilen Feld der Migrationsbekämpfung vorangetrieben. Eines von zahlreichen Projekten, die im Rahmen der „zivilen Sicherheitsforschung“ von der EU finanziert den Einsatz von Drohnen erprobt haben, beschäftigte sich unter dem Akronym WIMA2S (Wide Maritime Area Airborne Surveillance) mit der (kurzfristigen) weiträumigen Überwachung eines kleinen Abschnitts der spanischen Küste im Dienste der Guardia Civil. Ein ausführlicher Bericht über einen aufwändig vorbereiteten Testflug (quasi der Höhepunkt des 4 Mio. Euro teuren Projekts) im Jahre 2011 veranschaulicht etwa den damaligen Stand der Technik: Mit einem sechs Meter langen Katapult wurde eine Drohne des Typs Fulmar für 90 Minuten in die Luft geschickt, um über einen Satelliten-Terminal seine Positionsdaten und Bilder von Booten in ein Lagezentrum zu senden. Ebenfalls 2011 fanden im Auftrag der Bundeswehr durch die Firma Rheinmetall erste Demonstrationsflüge des WABEP (Wirkmittel zur Abstandsfähigen Bekämpfung von Einzel- und Punktzielen) statt, wobei eine deutsche Drohne vom Typ KZO mit einer israelischen Kamikazedrohne Harop in einen Informationsverbund integriert wurden. Beide konnten gemeinsam über dem Zielgebiet kreisen, das von der KZO überwacht und auf entsprechenden Befehl von der Harop angegriffen werden konnte. Im Jahresbericht Wehrtechnische Forschung 2012 berichten zwei junge Wissenschaftler*innen vom Fraunhofer IOSB (Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung), die an WIMA2S beteiligt waren, von ihrer Entwicklung eines „Objekt-Orientierten Weltmodells“ als „Informationsdrehscheibe“, mit der Daten aus verschiedenen Quellen zusammengeführt werden könnten, um – so das konkrete Beispiel – z.B. bei einem detektierten Boot die Wahrscheinlichkeit zu ermitteln, mit der sich „Flüchtlinge an Bord“ befänden.

Vor dem Hintergrund der damals angestoßenen Diskussion um die Anschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr und motiviert durch die Kampagne „gegen die Etablierung einer Drohnentechnologie für Kriegsführung, Überwachung und Unterdrückung“ hatte die IMI seinerzeit eine systematische Recherche durchgeführt, an welchen deutschen Universitäten Forschungen zu unbemannten Flugzeugen (UAV) stattfanden. Die Ergebnisse wurden 2013 in einem „Drohnenforschungsatlas“ veröffentlicht – der auch noch vom heutigen Standpunkt aus interessant (und im Internet verfügbar) ist. Dieser dokumentiert, dass es zu jener Zeit einerseits sich formierende Interessensgruppen um das Thema UAV und auch erste Großprojekte mit relativ langem Zeithorizont gab. Auf der anderen Seite wurden dezentral an nahezu jedem Informatik-Institut Experimente v.a. mit jenen Quadrokoptern (oder Oktokoptern) durchgeführt, die bald darauf auch in den Regalen von Spielwaren- und Media-Märkten auftauchten. Bei diesen Experimenten ging es z.B. oft darum, verschiedene Sensoren anzubauen, den Drohnen zu irgendeiner Form der „Orientierung“ oder Missionsplanung zu verhelfen oder die (sehr begrenzte) Interaktion mit anderen Fahrzeugen oder Menschen zu untersuchen (z.B. dass die Drohnen von einem anderen Fahrzeug aus starten und auch wieder auf diesem Landen können). Bei den größeren, zu dieser Zeit bereits militärisch (u.a. für sog. „gezielte Tötungen“ in Afghanistan, Pakistan, Somalia und Jemen) eingesetzten Drohnen handelte es sich im Grunde noch eher um ferngesteuerte Flugzeuge, bei denen erste Ansätze von „Autonomie“ noch darin bestanden, bei Abbruch der Funkverbindung zurückfliegen zu können, den Start- und Landevorgang tw. automatisiert durchzuführen oder onboard die Sensordaten nach gewissen Kriterien aufzuarbeiten (z.B. mögliche Fahrzeuge oder Personen vom Hintergrund getrennt zu verarbeiten). Von KI war zu jener Zeit in Bezug auf UAV v.a. in seriöseren Kontexten noch kaum die Rede, stattdessen noch eher von der „Fusion von Sensordaten“.

Labor Ukraine

Langer Rede, kurzer Sinn: Die Entwicklung auf dem Gebiet der Drohnentechnologie und der „Informationsverbünde“ um sie herum verlief in den letzten Jahren rasant. Im November 2019 veröffentlichte das Amt für Heeresentwicklung ein Positionspapier „Künstliche Intelligenz in den Landstreitkräften“. Es beginnt mit einem „Szenario“ über ein Bataillon, das aus vier Zügen mit jeweils 5.000 UAV besteht: „Die Luken der Transportfahrzeuge öffnen sich und 5.000 UAS fliegen aus den Fahrzeugen. Sie formieren sich zu unterschiedlichen Schwärmen…“. Ebenfalls 2019 wurde die Firma Atos mit einem „Demonstrationsversuch“ beauftragt, bei dem ein Schwarm von Drohnen ein „gläsernen Gefechtsfeld“ erzeugen sollte. Beteiligt war auch das israelische Rüstungsunternehmen Rafael, welches eine Software beisteuerte, die Sensoren und „Wirkmittel“ vernetzen und KI-basiert aufgrund von Parametern wie Sichtlinie, Munitionsbestand usw. für jedes Ziel den „optimalen Schützen“ bestimmen sollte. Das zugrundeliegende Szenario waren offensichtlich „dynamische Operationen“ in urbanen Gelände, als der intensive Häuserkampf – unterstützt von Drohnenschwärmen und KI.

In der Ukraine kommen mittlerweile alle hier angesprochenen Fähigkeiten alltäglich und in großem Maßstab zum Einsatz. 2023 schätzte das britische Royal United Service Institute (RUSI), dass alleine die Ukraine monatlich etwa 10.000 Drohnen verliere – das war, bevor die Produktion weltweit massiv hochgefahren wurde. Anfang 2024 gab das ukrainische Verteidigungsministerium die monatliche Produktion mit 150.000 Drohnen an und das Ziel aus, bis Jahresende 2 Mio. Stück zu produzieren. 2025 kündigte man an, die heimische Jahresproduktion auf 2,5 bis 3 Mio. zu steigern (das wären mehr als 8.000 pro Tag). Dazu kommen noch die UAV, die die Ukraine großflächig im Ausland einkauft – darunter auch mehrere Startups aus Deutschland. Sowohl für die russische, wie für die ukrainischer Seite gibt es Schätzungen, wonach mittlerweile etwa 70% aller Tötungen und Verwundungen auf Drohneneinsätze zurückgehen. Sie kommen in einer großen Bandbreite zum Einsatz: Fast jede Nacht lässt Russland Dutzende Drohnen mit größerer Reichweite auf Ziele im ukrainischen Hinterland fliegen, beide Seiten nutzen an der Front in großem Umfang sog „First-Person-View“-Drohnen, die von Menschen in gegnerische Ziele gesteuert werden. Auch Schwärme und Kamikazedrohnen, die eigenständig mögliche Ziele identifizieren und vorschlagen, kommen bereits täglich zum Einsatz – ziemlich sicher auch solche, die bereits eigenständig, KI-gesteuert Ziele angreifen können. Ob, wann und wo welche Systeme bereits die Grenze zu jenen „autonomen und tödlichen Waffensystemen“ (Lethal Autonomous Weapon Systems, LAWS) überschritten haben, um deren Regulierung sich UN-Gemien seit Jahren bemühen, ist in der unübersichtlichen Lage am ukrainischen Himmel kaum nachvollziehbar.

Ausblick

UAV sind in der Ukraine zum absoluten Massenprodukt geworden. Das alleine ist schlimm genug. Die nahezu tägliche Einführung neuer Systeme und neue Vernetzung bestehender Systeme ohne Regulation und Kontrolle – vor dem Hintergrund eines als existenziell wahrgenommenen Krieges – beschleunigt die technische Entwicklung massiv. Die „tausend Scharfschützen im Himmel“ („A Thousand Snipers in the Sky“, so der Titel eines lesenswerten Beitrages der New York Times) liefern obendrein massenhaft Trainings-Daten, mit denen künftige KIs für die Gefechtsführung und Schwarmsteuerung auch in Deutschland trainiert werden können. Zwei Münchner Unternehmen, die im Zuge des Ukraine-Krieges groß in die Drohnenproduktion eingestiegen sind – Helsing und Quantum Systems/Stark – haben nun vorgeschlagen, an der NATO-Ostflanke einen „Drohnenwall“ – quasi ein fliegendes Mienenfeld aus zehntausenden Aufklärungs- und Kamikaze-Drohnen – aufzubauen. Sie behaupten, das sei binnen eines Jahres realisierbar. Von den Produktionskapazitäten her ist das vielleicht sogar denkbar – eine halbwegs sichere Schwarmsteuerung in solch gewaltigem Umfang dürfte aber vermutlich noch einige Zeit Zukunftsmusik bleiben. Das neue, disruptive Mindset in der Beschaffung und die quasi unbegrenzten Rüstungsmilliarden könnte trotzdem dazu führen, dass solch waghalsige Projekte bald in Angriff genommen werden.

Dieser Beitrag wird in der Zeitschrift FriedensForum 5/2025 erscheinen.